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Nietzsche und Kierkegaard im Vergleich

 

Kierkegaard wurde 1813 in Kopenhagen geboren. Sein Vater war ein streng gläubiger Lutheraner, der Kierkegaard stark beinflußte. Kierkegaard studierte Theologie und Philosophie. Sein Denken entsprang einer Opposition gegen die Kirche, der er Verrat am Christentum vorwarf. Da er überzeugt war, daß es in der Religion um den Einzelnen und sein ewiges Heil geht, lehnte er philosophische und theologische Systeme, die im Rahmen ihrer Begriffe und Grundsätze das konkrete Dasein nicht zu erfassen vermögen, als religiös bedeutungslos ab. Er wendet sich also gegen die Rationalisierung des Christentums.

Nietzsche wurde 1844 als Sohn eines Pastors und einer Pastorentochter in Röcken geboren. Er studierte Altphilologie, interessierte sich aber auch für Philosophie und Kunst. Nietzsche ging es darum die Metaphysik für hinfällig zu erklären. Er wollte diese mit psychologischen Mitteln widerlegen, nämlich durch die Rekonstruktion der Entstehung metaphysischer Vorstellungen, die er auf Triebe, Gefühle und Wünsche zurückführte. Nicht vernünftige Einsichten stehen dieser Ansicht nach hinter den Lehren der Metaphysiker, sondern irrationale Motive. Nietzsches Kritik erreicht mit der Absage an den Gottesglauben ihren Höhepunkt. Der berühmte Satz "Gott ist tot" meint das Verblassen einer auf der Gottesidee beruhenden Weltanschauung.

Beiden Denkern ist also eine Kritik am rationalistischen Denken und eine Hinwendung zum Individuellen gemeinsam.

 

Ein Ausgangspunkt für Kierkegaard war der Zweifel– nicht der skeptische Zweifel Descartes und seine Ergebnisse, sondern die Frage, wie sich dieser Zweifel auf den Einzelnen auswirkt. Seine Erörterungen führen ihn zum Gedanken der Verzweiflung. Hat der Zweifel den ganzen Geist erfaßt und gelingt es dem Zweifelnden nicht, ihn zu überwinden, dann "verzweifelt er, sein Leben ist verspielt, seine Jugend ist dahingegangen mit diesen Überlegungen, das Leben hat keinen Sinn für ihn bekommen, und alles das ist die Schuld der Philosophie".

Ein Leitmotiv Nietzsches ist die Auseinandersetzung mit dem Nihilismus. Der Nihilismus besteht in der Negation aller absoluten Wahrheiten und Werte, im "Glauben an die absolute Wertlosigkeit, das heißt Sinnlosigkeit". Er ist somit die Folge der Aufhebung jener Annahmen, die für die theoretische und praktische Philosophie des Rationalismus zentral waren; er wird unvermeidlich, sobald die Idee einer vernünftigen in Gott fundierten Ordnung der Wirklichkeit fragwürdig wird. Nietzsche sah sich selbst als ein Opfer diese Nihilismus und glaubte schließlich, zu seiner Überwindung berufen zu sein.

Für beide ist also eine existentielle Grenzsituation (das Gefühl der Sinnlosigkeit des Daseins) ein Ausgangspunkt für ihr Denken.

 

Das Ergebnis von Kierkegaards Rationalismuskritik ist, daß er jener Philosophie, die mittels des methodischen Zweifels zu einer zeitlos gültigen Wahrheit vordringen möchte, eine Denkweise gegenüberstellt, bei der es in erster Linie um die in einem bestimmten Augenblick getroffene persönliche Entscheidung geht. Worauf es ankommt ist die 'subjektive Wahrheit'. Damit unterscheidet er zwischen gleichgültigen Wahrheiten und Wahrheiten, für die man sich engagiert.

In Nietzsches radikaler Metaphysikkritik muß auch Kants 'Ding an sich' seinen Platz verlieren. Mit dem Begriff des Dings an sich verliert auch der Gegenbegriff der Erscheinung seinen herkömmlichen Sinn (d.h. es gibt kein Wesen des Dings mehr). Die Unterscheidung zwischen einer Welt der Phänomene und einer "hinter" ihr liegenden Welt wird hinfällig. Es gibt nur die Welt, die wir erfahren und in der wir leben. Diese Welt ist eine gedeutete Welt und daher abhängig von der Perspektive der Deutung.

Für beide Denker ist eine Abwendung von der 'objektiven' Wahrheit hin zur 'subjektiven' Wahrheit kennzeichnend.

 

Die (Er)lösung liegt für Kierkegaard in einer Hinwendung zu Gott, die sich in einem Prozess vollzieht. Kierkegaard stellt die religiöse Existenz der sinnlichen ("ästhetischen") und der ethischen Lebensweise gegenüber. Die "ästhetische" Daseinsweise ist dadurch charakterisiert, daß der Mensch unmittelbar den sinnlichen Antrieben folgt, im Genußleben aufgeht und alles dem Genuß Abträgliche– wie den Gedanken an den Tod– verdrängt. Diese Haltung wird überwunden, wenn der durch die Angst auf sich zurückgeworfene Mensch sich der Alternative von Gut und Böse bewußt wird und sein Leben an allgemeinen moralischen Prinzipien ausrichtet. Der Übergang zur ethischen Daseinsweise erfolgt nicht stetig, sondern durch einen Sprung, d.h. durch einen radikalen, willentlich herbeigeführten Bruch mit der bisherigen Einstellung. Ein weiterer Sprung ist nötig, um von der ethischen zur religiösen Existenz überzugehen und sich nicht mehr an vernünftig begründeten Grundsätzen zu orientieren, sondern als Einzelner sich Gott anzuvertrauen. Dabei muß das Paradox in Kauf genommen werden, daß der Mensch nur dadurch zu seinem eigentlichen Selbst findet, daß er seine Abhängigkeit von Gott anerkennt. Kierkegaards Lösung ist also zu sehen in einer Umgestaltung des ganzen Menschen auf der Grundlage des Gottglaubens.

Für Nietzsche war der Nihilismus ein Prozess, in dessen Verlauf die Werte aufhören, gültig zu sein. Deshalb kann er nur dadurch überwunden werden, daß ein neues Wertbewußtsein erzeugt wird. Sollen neue Werte geschaffen werden, bedarf es eines Wollens, das die traditionellen Wertungen durch andere ersetzt. In diesem Sinne fordert Nietzsche die Umwertung aller Werte, durch die an die Stelle der alten Werte, die einem geschwächten Willen entspringen und die sich vor allem mit dem Christentum durchgesetzt haben, Wertungen eines kräftigeren, gesunden Wollens treten. Ursprünglich galten Macht, Herrschaft, Stolz als gut; mit dem Christentum als Religion der Unterschicht, der Sklaven, setzte sich eine andersartige Moral, eine Sklavenmoral, durch, unter deren Bedingungen Schwäche, Unterwerfung, Demut, Mitleid als Tugenden gelten. Der Sklavenaufstand in der Moral muß rückgängig gemacht und das ursprüngliche Wertbewußtsein wieder zur Geltung gebracht werden.
Nietzsche meint, daß es nicht genüge, ein abstraktes Wollen zu fordern, wenn der Wille "Wende der Not" sein soll; es ist nötig ein Ziel zu geben. Deshalb konzipiert Nietzsche die Idee des Übermenschen, an der sich die Menschen bei ihren Bemühungen um Höherentwicklung orientieren sollen. Der Willensakt, in dem die Idee des Übermenschen bejaht wird, hat die Funktion der Sinngebung.
Die Erschaffung neuer Werte ist eine übermenschliche Aufgabe. Da die Menschen früher den Sinn ihres Lebens in der Übereinstimmung mit dem Willen Gottes fanden, kann das Dasein nach dem Tode Gottes nur dadurch einen Sinn erhalten, daß der Mensch in die Rolle des wertsetzenden Gottes eintritt. (Anm.: Nietzsches Versuch, die Rolle Gottes zu übernehmen endete bekanntlich im Wahnsinn)

Trotz aller Ähnlichkeiten in der Ausgangslage ihres Denkens unterscheiden sich die Lösungsansätze gravierend voneinander. Während Kierkegaard den einzigen Weg aus der Verzweiflung in der Hinwendung zu Gott sieht, ist für Nietzsche Gott tot, und so kann das menschliche Dasein nur dadurch Sinn erhalten, daß der Mensch die Rolle des wertsetzenden Gottes übernimmt.

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