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Scientia nova - Von der Spekulation zur exakten Wissenschaft
Die moderne Wissenschaft hat kein Geburtsdatum.
Sie ist vielmehr in einem Zeitraum von etwa 160 Jahren entstanden. Dieser Zeitraum läßt
sich begrenzen durch zwei wissenschaftliche Werke: Kopernikus' De revolutionibus Orbium
coelestium (1543) und Newtons Optics (1704).
Eine besondere Rolle in diesem Prozeß spielte die Astronomie. Sie verfügte seit alters
her über ein reichhaltiges Beobachtungswissen und weiter entwickelte mathematische
Methoden, die Voraussagen erlaubten, die wiederum mit dem Beobachtungswissen verglichen
werden konnten. Der revolutionäre Schritt am Beginn der Neuzeit war der Übergang vom
ptolmäischen (geozentrischen) System zum kopernikanischen (heliozentrischen) System.
Diese neue Sicht der Welt hatte für seine Vertreter einen nicht ganz ungefährlichen
Charakter, da sie im Gegensatz zur Lehre der zu dieser Zeit noch sehr mächtigen
katholischen Kirche stand. So konnte es vorkommen, daß man als Anhänger der neuen Lehre
auf dem Scheiterhaufen landete, wie z.B. Giordano Bruno im Jahre 1600. So bedeutete der
letztendliche Sieg des heliozentrischen Systems auch gleichzeitig den Sieg über den
mittelalterlichen Dogmatismus.
Nikolaus Kopernikus (1473-1543)
Der entscheidende Schritt zum neuen Weltbild wurde durch den in Polen geborenen Nikolaus
Kopernikus vollzogen. Im Rahmen seiner Studien in Italien war ihm klar geworden, daß sich
die Planetenbewegungen viel einfacher vom heliozentrischen als vom geozentrischen
Standpunkt beschreiben ließen. Seine Beobachtungen waren jedoch nur sehr ungenau
das Teleskop wurde erst 1600 erfunden und so hatte seine 'Theorie einen eher
spekulativen Charakter, da sie auch auf antike Vertreter eines heliozentrischen Weltbildes
zurückgriff. Aus diesen Gründen und da er fürchtete, weltanschauliche Widerstände zu
wecken, zögerte er eine Veröffentlichung seiner Ansichten immer wieder hinaus. Das erste
Exemplar seines Werkes erreichte ihn auf dem Sterbebett in Frauenburg, wo er Domherr
gewesen war.
Da die Theorie nur auf recht ungenaue Beobachtungen gestützt war, ergab sich für die
Astronomie die Aufgabe, eine zuverlässige empirische Basis zu schaffen. Dieser Aufgabe
unterzog sich der Däne Tycho Brahe (1546-1601). Das heliozentrische System übernahm er
nicht, sondern suchte einen mittleren Weg, indem er annahm, daß sich die Planeten zwar um
die Sonne, die Sonne aber um die Erde als Mittelpunkt des ganzen Systems bewegten.
Kopernikus blieb noch insofern im alten Weltbild verhaftet, als er annahm, daß das
Universum durch die Fixstern-Sphäre eine Kristall-Hohlkugel, an der die Fixsterne
befestigt sein sollen abgeschlossen werde. Das All ist nach Kopernikus somit
begrenzt, und zwar in Form jenes geometrischen Gebildes, das als das vollkommenste galt:
der Kugel.
Giordano Bruno (1548-1600)
Die Vorstellung eines begrenzten, kugelförmig abgeschlossenen Kosmos zu überwinden
gelang Giordano Bruno, der zwar kein Astronom war, durch seine naturphilosophischen
Überlegungen aber die Entwicklung der Astronomie entscheidend beeinflußte. Er vollzog
den Schritt vom geschlossenen Weltbild des Kopernikus hin zur Konzeption eines unendlichen
Universums. Er war überzeugt, daß die Welt grenzenlos sei und daß die Fixsterne für
Gestirne von der Art unserer Sonne gehalten werden müßten. Im unbegrenzten Raum gibt es,
wie er glaubte, zahllose Teilsysteme von der Art unseres Planetensystems. Die Fixsterne
ruhen nur scheinbar, da wir ihre Bewegung infolge ihrer großen Entfernung von der Erde
aus nicht wahrnehmen.
Brunos Weltbild weist jedoch auch Züge auf, die nicht so sehr kosmologisch im
wissenschaftlichen Sinn als vielmehr spekulativ sind: Das All ist seiner Ansicht nach
belebt bzw. beseelt, in ihm äußert sich die Gottheit, ja es ist in gewissem Sinne selbst
göttlich. Seine Auffassungen blieben auch deshalb wesentlich spekulativ, insofern er den
Schritt zu einem Weltbild, das den Ergebnissen der sich eben neue konstituierenden
modernen Naturwissenschaft entsprochen hätte, nicht zu tun vermochte, weil er die
Bedeutung der Mathematik als der Sprache, in der die Naturgesetze zu formulieren sind,
nicht erfaßte.
Seine Begründung der Unendlichkeit des Universums sieht folgendermaßen aus: Gott als dem
unendlichen Urbild muß ein Abbild entsprechen, das in seiner Art ebenfalls unendlich ist.
Das Universum ist das Abbild Gottes, also muß es unbegrenzt sein und unzählige Welten
enthalten. Die Unendlichkeit der Welt folgt somit aus der Unendlichkeit Gottes.
Brunos Gedanken sind, obwohl sie nicht eigentlich naturwissenschaftlichen Charakter haben,
im Bereich der Wissenschaftsentwicklung nicht wirkungslos geblieben: Indem er die
Erkenntnis der Natur als mittelbare Gotteserkenntnis auffaßte, gab er ihr ein
metaphysisches Gewicht, durch das sie innerhalb des zeitgenössischen Denkens
beträchtlich an Bedeutung gewann. Darüber hinaus fand die junge Wissenschaft in ihm
ihren ersten Märtyrer. Bruno wurde 1600 in Rom als Ketzer öffentlich verbrannt.
Johannes Kepler (1572-1630)
Als der eigentliche Überwinder des alten Weltbildes gilt neben Galileo Galilei Johannes
Kepler. Was Tycho Brahe durch sorgfältige Beobachtungen vorbereitet hatte, sollte
Johannes Kepler vollenden.
In seinen Anfängen war er jedoch viel eher Neupythagoreer als Naturwissenschaftler. Ganz
in diesem Geist wollte er die Vorstellung des Planetensystems dadurch geometrisieren, daß
er die Bahnen der bekannten Planeten den sogenannten Platonischen Körpern (also
Tetraeder, Würfel, Oktaeder, Dodekaeder und Ikosaeder) eingeschrieben dachte. Da es genau
fünf Platonische Körper gibt, folgerte er, daß auch genau fünf Planeten existierten.
Solche Spekulationen führten dennoch in eine für die Entwicklung der wissenschaftlichen
Astronomie bedeutende Richtung, da sie von der Tendenz zur Mathematisierung geleitet
waren. Sobald sich diese Tendenz mit der angemessenen Berücksichtigung von
Beobachtungsergebnissen verband, war der Weg zur modernen Astronomie frei. Daß Kepler
veranlaßt wurde, der Empirie die gebührende Beachtung zu schenken, ist Tycho Brahe zu
verdanken, der ihn nach Prag einlud, wo er Brahes Mitarbeiter und später dessen
Nachfolger wurde. Von Brahes (noch ohne Fernrohr angestellten) Beobachtungen ausgehend,
konnte er zeigen, daß Kopernikus' Annahme kreisförmiger Planetenbahnen unhaltbar ist;
Übereinstimmung mit den Beobachtungsdaten ergab sich dagegen, sobald man annahm, daß
sich die Planeten auf elliptischen Bahnen um die Sonne bewegen, in deren einem Brennpunkt
die Sonne steht. Dies besagt das erste der nach Kepler benannten Gesetze. Nach dem zweiten
dieser Gesetze überstreicht eine von der Sonne zum Planeten gezogene Linie in gleichen
Zeiten gleiche Flächen, woraus folgt, daß sich die Geschwindigkeit der
Planetenbewegungen in Abhängigkeit vom Sonnenabstand ändert. Das dritte Gesetz besagt,
daß sich die Kuben der großen Halbachsen der Bahnen von Planeten so verhalten wie die
Quadrate der Umlaufzeiten.
Hier war mit wissenschaftlichen Mitteln erreicht, was Kepler zunächst in spekulativer
Form vorgeschwebt war: die Beschreibung der Verhältnisse zwischen den Planetenbahnen mit
mathematischen Mitteln. Die Keplerschen Gesetze wurden später zum Ausgangspunkt für
Newtons Erklärung der Planetenbewegung auf der Grundlage der Gravitationstheorie.
Galileo Galilei (1546-1642)
Noch entschiedener als Kepler wandte sich Galileo Galilei von der platonischen
Naturspekulation ab; er stand von vornherein auf dem Boden der empirischen Naturforschung,
und seine Impulse entsprangen nicht der Metaphysik oder der Theologie, sondern der an
handwerkliche Techniken anknüpfenden experimentierenden Praxis von Männern wie Leonardo
da Vinci (1452-1519).
Galilei formulierte das Fallgesetz und das Gesetz der Pendelschwingung, er entdeckte mit
Hilfe des von ihm nachgebauten, in den Niederlanden erfundenen Fernrohrs vier Jupitermonde
sowie die Phasen der Venus. Im Mittelpunkt seiner Bemühungen stand der Einsatz für das
heliozentrische System, in dem er nicht nur eine angemessene Beschreibung der Beziehungen
innerhalb des Sonnensystems, auch nicht nur eine plausible Hypothese, sondern eine
beweisbare, ja eine bewiesene Wahrheit erblickte. Als Kämpfer für die neue Auffassung
geriet er mit der Kirche in Konflikt, wie wenig früher Giordano Bruno. Anders als dieser
zog er es vor, seine Lehre zu widerrufen und sich so das Martyrium zu ersparen. Obwohl er
unter Hausarrest gestellt wurde, hatte er die Möglichkeit, seine Forschungen fortzusetzen
und wichtige Resultate zu erzielen.
Galilei distanzierte sich jedoch nicht nur durch seine Ablehnung des geozentrischen
Weltbildes vom aristotelisch-mittelalterlichen Weltbild. Der wesentliche Gegensatz
zwischen seiner Auffassung und dem traditionellen Weltbild besteht darin, daß Galilei das
Trägheitsprinzip zugrunde legt. Dies führt zur Preisgabe der aristotelischen
Unterscheidung von natürlicher Bewegung (nach dem natürlichen Ort) und erzwungener
Bewegung, an der in der damaligen Naturphilosophie noch vielfach festgehalten wurde. Nach
Galilei bleibt ein bewegter Körper so lange in Bewegung, als keine andere Kraft auf ihn
einwirkt. Damit wird das Prinzip der Trägheit zur Grundlage einer neuen, von der
aristotelischen prinzipiell verschiedenen Mechanik.
Er bereitete auch die Newtonsche Auffassung, daß "am Himmel dieselben Gesetze
herrschen wie auf der Erde" vor, indem er die aristotelische Unterscheidung zwischen
unvollkommener sublunarer und vollkommener supralunarer Welt mit plausiblen Argumenten
aufgab. Er zeigte auf, daß der Mond keine vollkommene geometrische Gestalt haben konnte,
wie die aristotelischen Kosmologen geglaubt hatten. Er schloß daraus, daß die obere
Welt, beginnend mit der Mond-Sphäre, nicht vollkommener ist als die Welt unterhalb des
Mondes, und daß deshalb kein Grund besteht anzunehmen, daß in ihr andere
Gesetzmäßigkeiten herrschen als im terrestrischen Bereich.
Zusammenfassung
Das moderne naturwissenschaftliche Denken erwuchs teilweise aus Gedanken, die in der
Renaissance-Philosophie entwickelt wurden. Insbesondere die platonische Idee, daß die
Wirklichkeit mathematischen Formen unterworfen sei, spielte bei Wissenschaftlern wie
Galilei oder Kepler eine wichtige Rolle. Gleichzeitig mußte die moderne Naturwissenschaft
die für die Naturspekulation der Renaissance auf weite Strecken typische Ansicht
überwinden, daß Erscheinungen im Bereich der Dinge auf dem Wirken seelenartiger bzw.
dämonischer Kräfte beruhen könnten. Demgegenüber ist die moderne Naturwissenschaft
durch die Überzeugung charakterisiert, daß Ursachen natürlicher Phänomene wiederum nur
natürliche Phänomene sein könnten, und zwar sofern zwischen Ursachen und Wirkungen ein
gesetzmäßiger, jeglicher Willkür übernatürlicher Kräfte entzogener Zusammenhang
besteht. Es war eine der wichtigsten Aufgaben der modernen Philosophie seit Descartes,
diese Auffassung der Natur metaphysisch und erkenntnistheoretisch zu analysieren.
Descartes (1596 - 1650) - Vater der neuzeitlichen
Philosophie
Rene Descartes (lat. Cartesius) wurde am 31.3.1596 in La Haye geboren. Er besuchte von
1604 bis 1612 eine berühmte Jesuitenschule und lernte dort sowohl die scholastische
Philosophie als auch die moderne Naturwissenschaft kennen. Er kämpft als Soldat in der
Armee Moritz von Nassaus im Dreißigjährigen Krieg, wo er 1619 in einem Heerlager bei
Neuburg a.d. Donau seine philosophische Erleuchtung hatte, und zwar in Form eines Traums.
Da ihm sein Vater ein ausreichendes Vermögen hinterlassen hatte, konnte er als Privatmann
seine philosophischen Neigungen ausleben und korrespondierte mit vielen wichtigen
Gelehrten seiner Zeit. Er stirbt 1650 am Hofe der Königin von Schweden, der er
Philosophieunterricht erteilte (Um 5 Uhr morgens, was seiner Gesundheit nicht gut bekam.).
Descartes war einer der überragenden Mathematiker seiner Zeit. Er erfand die analytische
Geometrie. Durch die Einführung des Koordinatensystems konnten jetzt geometrische
Probleme durch algebraische (also Zahlen-) Methoden bearbeitet werden, z.B. indem man eine
Kurve als Funktionsgleichung angibt. Hier wird auch die Mathematisierung der Welt als
Kennzeichen neuzeitlicher Philosophie deutlich. An Galilei kritisiert Descartes, daß er
"ohne Fundament gebaut" hat, und herumexperimentiert hat, "ohne die ersten
Ursachen der Natur betrachtet zu haben." Gerade darin, in der Begründung einer neuen
Meta-Physik, sieht Descartes seine Lebensaufgabe.
Sein erstes Werk ist eine Verbindung von persönlichem Bericht und methodologischer
Grundsatzdiskussion. Dies ist ungewöhnlich und neu. Ausgangspunkt seines Denkens sind
Zweifel und die Einsicht in die Möglichkeit der Selbsttäuschung, verbunden mit größter
Bescheidenheit hinsichtlich der Erkenntnismöglichkeiten. Philosophie als Veranstaltung
von Privatpersonen, die in eigener Sache und mit dem Anspruch auf persönliche Freiheit
der Meinungsäußerung sprechen, ist ein typisches Kennzeichen neuzeitlich-bürgerlichen
Philosophierens. Doch der Schein trügt es geht um die Methode des richtigen
Vernunftgebrauches und der wissenschaftlichen Wahrheitsforschung, und hier glaubte der
Privatmann durchaus, die richtige Methode für Alle und Alles gefunden zu haben.
Berühmt geworden sind Descartes vier Regeln des Vernunftgebrauchs, die die Geschichte des
europäischen Denkens entscheidend mitbestimmt haben:
"Die erste war: niemals eine Sache als wahr
anzunehmen, die ich nicht als solche sicher und einleuchtend erkennen würde, das heißt
sorgfältig die Übereilung und das Vorurteil zu vermeiden und in meinen Urteilen nur
soviel zu begreifen, wie sich meinem Geist so klar und deutlich darstellen würde, daß
ich gar keine Möglichkeit hätte, daran zu zweifeln. Die zweite: jede der
Schwierigkeiten, die ich untersuchen würde, in so viele Teile zu zerlegen als möglich
und zur besseren Lösung wünschenswert wäre. Die dritte: meine Gedanken zu ordnen; zu
beginnen mit den einfachsten und faßlichsten Objekten und aufzusteigen allmählich und
gleichsam stufenweise bis zur Erkenntnis der kompliziertesten, und selbst solche Dinge
irgendwie für geordnet zu halten, von denen natürlicherweise nicht die einen den anderen
vorausgehen. Und die letzte: Überall so vollständige Aufzählungen und so umfassende
Übersichten zu machen, daß ich sicher wäre nichts auszulassen."
Isaac Newton (1642-1727)
Newton ist der wohl bedeutendste Naturforscher aller Zeiten. Der Dichter Alexander Pope
schrieb zu seinem Tode ein Epitaph auf ihn, der seine Bedeutung ausdrückt:
Nature and Nature's laws lay hid in the
night;
God said, Let Newton be and all was light.
Mit Newton fand die Entwicklung der Physik von der
Naturphilosophie zur neuzeitlichen Wissenschaft ihren Abschluß, auch wenn der Titel
seines Hauptwerkes lautet: Philosophia naturalis principia mathematica.
In diesem wohl wichtigsten Werk der Physikgeschichte zeigt Newton, daß der Mond am Himmel
derselben Kraft unterliegt und seine Bewegung sich nach denselben Gesetzen richtet wie ein
Apfel, der zu Boden fällt, oder ein Stein, der durch die Luft geschleudert wird. Mit
Newton bekommt die Wissenschaft von der Bewegung ihre moderne Form.
Interessant ist bei Newton aber auch seine weitgehend unbekannte Seite, die von Physikern
gerne geleugnet wird: Auf der Suche nach den Ursachen der Gravitation wurde Newton zu
einem Alchimisten. So umfaßt sein Werk mehr alchimistische Schriften als
naturwissenschaftliche. Nichtsdestotrotz beginnt mit Newton nun ein neues Zeitalter
das der modernen, auf mathematischen Methoden und Empirie basierenden Naturwissenschaft.
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